Wenn ich dann mal in Rente bin

Wenn ich dann mal in Rente bin…

Ich möchte mit dir eine wahre Begebenheit teilen, die mich einerseits tief berührt und mir gleichzeitig die Augen noch ein bissl mehr geöffnet hat.

Ende September 2018, beschlossen mein Mann und ich kurzfristig, noch 14 Tage Urlaub im Süden zu machen um noch ein wenig Sonne zu tanken, für den bevorstehenden typisch deutschen, nasskalten und nebligen Winter. Bei den Vorbereitungen merkten wir, es fehlt noch dies und das und wir gingen einkaufen. Im Geschäft trafen wir zufällig Lisa, eine gemeinsame Bekannte, die wir länger nicht gesehen hatten.

Wir kamen ins Plaudern, wie das halt so geht. Sie erzählte von ihrer Arbeit in einer Filiale einer Bekleidungskette. Diese Filiale wurde geschlossen. Lisa wurde in ein anders Geschäft versetzt, musste dort direkt mit der Filialleiterin zusammenarbeiten. Sie vertrugen sich nicht besonders, Lisa kündigte und fand nach einigen Wochen der Suche dann Arbeit in einem anderen Laden im Nachbarort. Dorthin fuhr sie nun bei Wind und Wetter einfache Fahrt 1 Stunde, mit dem Fahrrad hin, denn die Anbindung an den Nahverkehr dorthin war schlecht. Die neuen Kolleginnen waren Ihr nicht symphytisch, voll die Zicken, meinte Sie. Lisa war genervt und sagte sie merke, dass sie in letzter Zeit immer unzufriedener werde.

Sie fragte, wie es uns so geht. Ach ja, wie lange denn mein Mann nun schon im Vorruhestand sei, wollte sie wissen. Oha, ihr Mann sein nun auch schon fast 3 Jahre daheim, aber sie müsse noch mindestens die nächsten 2 Jahre arbeiten. Ich höre meinen Mann sagen: “Mensch, dein Karl war doch bei einer guten Firma, der hat doch eine prima Rente. Ihr habt ein Haus, das ist abbezahlt, die Kinder alle drei aus dem Haus. Warum bleibst du nicht daheim, du und Karl macht es euch schön zusammen, ihr genießt gemeinsam einfach das Leben und macht tolle Dinge zusammen. Wir sind alle nicht mehr die Jüngsten, jedoch noch lange kein altes Eisen, noch fit und munter, wer weiß wie lange das so bleibt und wir bestimmte Sachen überhaupt machen können“. Sie lachte laut, winkte ab und antwortete: „Nein, das geht nicht so einfach, wie du denkst, ich brauche doch noch die Punkte für meine Rente. Wir haben schon so unsere Pläne, das machen wir dann später alles.“

Wir verabschiedeten uns und jeder ging seines Weges. Nach dem Urlaub stöberte ich die Post der letzten 2 Wochen durch. In der Wochenzeitung blieb ich wie gebannt an einem übergroßen Foto, einer Todesanzeige hängen. Mir stockte der Atem und ich dachte nur: „Oh nein“! Es war ein Bild von Karl. Schnell rief ich meinen Mann und zeigte ihm die Anzeige. Auch er war geschockt. Was war geschehen? Letzte Woche kam Lisa nachmittags von der Arbeit und fand Karl im Sessel sitzend – tot. Herzinfarkt – ein Kerl wie ein Bär, groß, athletisch, immer sportlich aktiv gewesen, nie krank. Keinerlei Vorzeichen, scheinbar alles okay und dann sowas!

Am nächsten Tag gingen wir zur Beerdigung. Die Leichenhalle konnte die Anzahl der Trauergäste gar nicht fassen, unzählige Menschen standen draußen am Eingangsbereich des Friedhofes, bis zur Straße hin. Ein überwältigender Anblick. So viele Freunde, Nachbarn, Vereinskollegen, Bekannte, ehemalige Arbeitskollegen waren gekommen. Karl war ein freundlicher, geselliger, überall gerne gesehener Typ gewesen.

Das Rennrad des Verstorbenen stand neben dem Sarg und ein Zitronenbaum.

Die Witwe, von Trauer und Gram gebeugt saß in der ersten Reihe, tränenüberströmt. Ihre älteste Tochter an der Hand haltend. Der Pfarrer sprach von ihrer langjährigen guten Ehe mit Karl, in der die beiden es geschafft hatten Freunde und ein Liebespaar zugleich zu bleiben. Von dem Glück, dass ihre drei gesunden Kinder ihnen bescherten und von dem ersten Enkelchen das im Anmarsch war. Oh, wie gerne wäre Karl doch Opa geworden. Als er hörte, ein Mädchen wird erwartet, hatte er sofort, voller Vorfreude schon viele rosa Spielsachen gekauft. Der Pfarrer sprach auch von den schönen gemeinsamen Urlauben immer im Süden. Ja, die Sonne und das Meer liebten Lisa und Karl sehr. Auch von den phantastischen Plänen, die sie schon geschmiedet hatten, war die Rede. Vielfältige Idee für die zukünftige Zeit des gemeinsamen Ruhestandes – dann in 2 Jahren… Viele Trauergäste weinten bei der Ansprache des Pfarrers…

Auch ich weinte. Lisa tat mir unendlich leid. Ich konnte nur denken: “Futsch, alles futsch. Aus und vorbei“. Wie unsagbar traurig und wie tragisch. Da sitzt sie nun mit Ihren geplatzten Träumen und Plänen …Was soll sie bloß machen? Weiterhin arbeiten gehen. Um 1-2 Rentenpunkte, also letztlich ungefähr 50. – Euro mehr im Monat zu bekommen, dann in 2 Jahren! Ohne ihn die gemeinsamen Träume erleben?

Welche Schlussfolgerung können wir aus dieser ernüchternden Geschichte ziehen?

Wir wissen nicht wieviel Lebenszeit uns zur Verfügung steht. Machen wir das Beste daraus. Jeden Tag, JETZT. Denn wir haben nur das Jetzt. Gestern ist Vergangenheit, nicht mehr zu ändern. Morgen ist Zukunft, die liegt noch in der Ferne.  Und wir können nicht wissen ob sie mit uns stattfinden wird. Deshalb: “Carpe diem“- Lebe den Tag. Immer. Schiebe nichts auf die allzu lange Bank. Klar, wir alle brauchen Geld um unser Leben bestreiten zu können. Jedoch machen 50 € mehr oder weniger, den Bock fett – wie man hier bei uns zu sagen pflegt? Ist nicht die gemeinsam erlebte Zeit, die Freude und das Lachen, viel wertvoller als das Geld?

Letztendlich darf jeder von uns das für sich entscheiden. Wir haben die Wahl und zwar immer. Auf diese Weise geplatzte Träume sind meiner Meinung nach echt eine traurige Sache. Geld kann ich immer wieder irgendwie und irgendwo verdienen, wenn es eng werden sollte. Einen geliebten, verstorbenen Menschen kann ich nicht zurückholen.

Denk mal in Ruhe darüber nach.

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